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Ü-50-Lehrlinge: Senior-Azubis in der Backstube


Beruf & Karriere
Ü-50-Lehrlinge: Senior-Azubis in der Backstube

spiegel-online, Spiegel Online

Aktualisiert am 13.02.2012Lesedauer: 4 Min.
Ältere Arbeitnehmer sind zunehmend attraktivVergrößern des BildesÄltere Arbeitnehmer sind zunehmend attraktiv (Quelle: dapd)
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Lehre statt Rente: Eine Bäckerei in Baden-Württemberg reagiert kreativ auf den Fachkräftemangel. Die Firma bildet Menschen aus, die auf dem Arbeitsmarkt sonst schlechte Chancen haben - Migranten und über 50-Jährige. Die Erfolgsquote ist deutlich höher als bei Jung-Azubis.

Violeta Deva hat ein großes Ziel. Sie will ihre Tochter einholen. Die 19-Jährige hat ihre Ausbildung zur Arzthelferin bereits hinter sich. Mutter Violeta steht noch am Anfang ihres Berufswegs. "Ich will was aus mir machen", sagt sie energisch. Ihr Ziel: ein Abschluss als Bäckerei-Fachverkäuferin, als eine von 53 Senior-Azubis bei K+U, einer Großbäckerei im Südwesten Deutschlands.

Ältester Azubi ist über 50

Mit ihren 35 Jahren gehört Deva zu den Jüngeren in ihrer Klasse. Die älteste Azubi ist schon 53. "Als ich anfing, hatte ich echt Zweifel", sagt Deva. "Schaffe ich das überhaupt? Reicht mein Deutsch?"

Seit Oktober ist die gebürtige Kosovarin nun dabei und gehört zum zweiten Senior-Azubi-Jahrgang. Das Konzept ist bundesweit einmalig: Menschen, die normalerweise bestenfalls als Billigkräfte gefragt wären, bekommen die Chance auf einen Ausbildungsplatz - Hausfrauen, Migranten, über 50-Jährige. Bei der Großbäckerei werden sie in zwei Jahren zum Fachverkäufer ausgebildet.

Es mangelt an Fachkräften

Die ungewöhnliche Idee entstand aus der Not heraus. "Das ist unsere Reaktion auf den Fachkräftemangel", sagt Corinna Krefft-Ebner, Ausbildungsleiterin bei K+U in Emmendingen bei Freiburg. "Wir haben immer größere Probleme, was den Nachwuchs angeht. Eigentlich brauchen wir 150 Lehrlinge pro Jahr, wir finden aber nur 100."

Bei der Bäckerkette, die zum Edeka-Konzern gehört und 5000 Beschäftigte hat, kommen zwei Probleme zusammen: Zum einen herrscht im Südwesten der Republik eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit - entsprechend schwer finden die Firmen Arbeitskräfte. Und zum anderen hat K+U keine Traumjobs zu bieten. Wer will das schon? Um vier Uhr aufstehen und das bei keineswegs berauschender Bezahlung? Bei 16- oder 18-jährigen Schulabgängern hält sich die Begeisterung in Grenzen.

Arbeitgeber nicht mehr in der besten Situation

Mit der Idee, ältere Arbeitnehmer auszubilden, dürfte das Unternehmen Vorbote einer allgemeinen Entwicklung sein. In Zukunft werden die Arbeitgeber nicht mehr in der besten Position sein - und sich die geeignetsten Mitarbeiter aussuchen können. Stattdessen müssen sie gute Angebote machen, um für Arbeitnehmer attraktiv zu sein.

Die Führung von K+U setzt vor allem auf ungelernte Verkäufer, die bereits im Betrieb sind. Um möglichst viele von der Idee zu überzeugen, ködert der Betrieb sie mit einem attraktiven Angebot: Ein Senior-Azubi bei K+U bekommt den gleichen Lohn wie ein ungelernter Verkäufer. 1500 Euro brutto im Monat, immerhin fast dreimal so viel wie ein normales Azubi-Gehalt im ersten Lehrjahr. Mit abgeschlossener Lehre steigt das Gehalt dann um rund 300 Euro.

"Mit 500 Euro hätte ich das vergessen können"

Nur wegen des höheren Lohns kam die Lehre auch für Violeta Deva in Frage. Vor vier Jahren scheiterte ihre Ehe. Seitdem sorgt sie allein für die beiden Kinder. "Mit 500 Euro im Monat hätte ich das vergessen können", sagt die Auszubildende. Denn selbst so reicht das Einkommen nicht. Wenn sie in der Bäckerei Feierabend hat, geht Deva noch zwei Stunden putzen, beim Arzt, für den ihre Tochter als Arzthelferin arbeitet. Und das an fünf Tagen pro Woche.

Trotz dieser Doppelbelastung beschwert sie sich nicht. Mit einem freundlichen Lächeln bedient die Kosovarin die Kunden, huscht durch die Filiale am Emmendinger Bahnhof und wirft schnell noch ein paar Brötchen in den Ofen. Wie in den meisten Bäckereien mittlerweile üblich, werden auch die Filialen von K+U mit Teiglingen beliefert, die die Mitarbeiter nur noch aufbacken müssen. Ausgebildete Bäcker und Konditoren gibt es nur noch in den fünf Produktionsstandorten, die rund 800 Filialen schmeißen Frauen wie Violeta Deva, die meisten als ungelernte Hilfskräfte.

Mit 14 geheiratet

Sie freut sich, dass sie nun mit 35 Jahren noch einen Beruf erlernen kann. "Ich habe geheiratet, da war ich 14", erzählt sie. Drei Jahre später floh sie mit ihrem Mann und der gerade geborenen Tochter nach Deutschland. Die Schule hatte sie bereits nach der achten Klasse verlassen.

In der neuen Heimat durfte sie zunächst nicht arbeiten. "Mein Mann wollte das nicht." Als er sie dann 2007 verließ, musste Deva plötzlich einen Job finden. Denn Unterhalt bekommt sie nicht, ihr Ex-Gatte ist mittlerweile arbeitslos.

Erster Job bei Schlecker

"Ich habe dann bei Schlecker angefangen." Der Job bei der inzwischen insolventen Drogeriekette war okay, sagt Deva, "aber schlecht bezahlt und ich bekam immer nur befristete Verträge". Die Folge: Als sie nach zweieinhalb Jahren wegen einer Bandscheibenoperation länger ausfiel, wurde ihr Vertrag nicht verlängert.

Noch in der Erholungsphase bewarb Deva sich bei K+U und wurde eingestellt. Die Aufnahme in die Senior-Ausbildung scheiterte allerdings zunächst an der Arbeitsagentur. Die Behörde übernimmt 50 Prozent des Lohns, stellt dafür aber auch Bedingungen: Unter anderem müssen die Azubis gut Deutsch sprechen und einen Eignungstest bestehen.

Deutsch-Nachhilfe war gut investiert

Deva fiel im ersten Anlauf in beiden Punkten durch. Ein Jahr später bewilligte die Arbeitsagentur in Freiburg den Zuschuss nur unter Auflagen: K+U muss der Kosovarin Deutsch-Nachhilfe zahlen, zwei Stunden pro Woche.

Das Geld ist gut investiert: Von den Senior-Azubis haben bislang nur zwei ihre Lehre abgebrochen, eine Quote von vier Prozent. Bei den jungen Lehrlingen ist die Abbrecherquote dreimal so hoch. Auch sonst ist Ausbildungschefin Krefft-Ebner mit ihren "Senioren" hochzufrieden: "Ihnen muss man nicht erst beibringen, dass sie 'Guten Tag' sagen, wenn ein Kunde den Laden betritt."

Unternehmen trauen sich nicht

Umso überraschender, dass das Pilotprojekt bislang keine Nachahmer gefunden hat. Zwar gibt es immer großes Interesse, wenn Krefft-Ebner bei Seminaren über ihre Senior-Azubis spricht. Doch etwas Ähnliches starten? Das traut sich bislang kein weiteres Unternehmen.

Krefft-Ebner kann das sogar verstehen. "Der Aufwand ist enorm", sagt sie. Es sei ein "riesiger bürokratischer Akt" gewesen, die Idee zu realisieren. Für die Ausbildung musste ein komplett neuer Lehrplan entworfen werden, denn statt drei Jahren dauert sie bei den Senioren nur 24 Monate.

Für Violeta Deva hat sich der Aufwand allemal gelohnt. An ihrem ersten Schultag überraschte ihr Chef sie mit einer Schultüte. Violeta hatte ihm erzählt, dass sie damals bei ihrer Einschulung keine bekommen hatte. Deva strahlt, wenn sie sich daran erinnert: "Ich habe mich gefreut wie ein kleines Kind."

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